Geschichte

Auf dem Gipfel des Ötschers

450 Jahre Erstbesteigung durch Carolus Clusius.
Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Der Ötscher von Joachimsberg aus

Man schrieb Donnerstag, den 22. August 1574: Eine kleine Gruppe von Männern kämpfte sich durch dichte Wälder, überquerte Almwiesen und stand dann endlich auf dem markantesten und formschönsten Gipfel der niederösterreichischen Kalkalpen, dem Etscherium. Wer waren diese Männer? Charles de lʼEcluse, ein Botaniker, besser bekannt als Carolus Clusius, Johann Aichholz, Arzt und Botaniker sowie Paul Fabricius, Humanist, Mathematiker, Astronom, Botaniker, Geograph und Lyriker in einer Person. Trotz des beschwerlichen Aufstiegs hatte Fabricius noch Muße und Kraft gehabt, sechs elegische Disticha (=Verspaar, hier bestehend aus einem Hexameter und einem Pentameter) in lateinischer Sprache auf Carolus Clusius zu dichten, die er dann auf dem Gipfel des Ötschers vortrug:

An Carolus Clusius, den Vertrauten des Kaiserhofes und Vorstand in Sachen Botanik bei Kaiser Maximilian II.

Während Du, Karl, Gefilde durchwanderst, die voll sind von grünenden Gräsern,
     Laß die müden Füße mitten auf dem Berg verweilen
Und ziehʼ Dioskurides zum Vergleich heran und siehʼ, ob die Pflanze, die wir vor Augen haben,
     Ob diese wahrhaftig Frau Abrotonum ist,
Oder ob der auf unschönem Felde wachsende Wermut befiehlt,
     Diese seinen Arten zuzuzählen.
Selten ist freilich die Pflanze, wahrhaft äußerst würdig, bestimmt zu werden,
     Aber sicherlich wird der Gebrauch, der ihrem Wesen entspricht, willkommener sein.
Als Berater soll sich Aichholz mit Dir eine Meinung über jene bilden
     Und sie beurteilen, damit die Pflanze keinem Irrtum Raum gibt.
So soll der große Sonnengott Apoll eure Gärten erleuchten
     Und mit seinem fruchtbringenden Strahl Blumen aufspüren.

Dies dichtete Paul Fabricius, Mathematiker des göttlichen Kaisers, auf den Ötscherhöhen am 22. August 1574.

Im Gegensatz zu seinem berühmten Vorgänger Francesco Petrarca, der 1336 erstmals in einem Brief ein Naturerlebnis anlässlich der Bergbesteigung des Mont Ventoux (der „Gigant“ der Provence) zu Papier brachte, stehen in den vorliegenden Zeilen die botanischen Tätigkeiten seines Freundes Carolus Clusius im Vordergrund, die Frage, ob es sich bei der auf den Ötscherwiesen gefundenen Pflanze um die Eberraute (Abrotonum) oder um das Wermutkraut handelt.

Wer waren nun diese Bergsteiger, die erstmals die Ötscherhöhen erklommen?

Da ist einmal der 1520 in Wien geborene Johann Aichholz: Er immatrikulierte 1536 an der Universität Wien und absolvierte das Bakkalaureatsstudium. Seine Ausbildung setzte er in Ingolstadt und Wittenberg (ab 1548) fort, wo er den akademischen Grad eines Magisters erwarb. Als Lehrer adeliger Studenten führten ihn Reisen nach Frankreich und Italien. An der Universität zu Padua promovierte er 1556 zum Doktor der Medizin. Nach seiner Rückkehr in seine Geburtsstadt Wien ließ er sich hier 1557 als Arzt nieder. Er lehrte als Professor für Anatomie an der Universität und führte mehrere Sektionen (=Leichenöffnung) durch; 1558 wurde er von der Medizinischen Fakultät zum Magister sanitatis (Stadtphysikus) bestellt. Seine erfolgreiche Universitätskarriere manifestiert sich in seiner fünfmaligen Ernennung zum Dekan; einmal übte er das Amt des Rektors aus. 1565 wurde er zum Professor für theoretische Medizin ernannt, 1578 scheint er als Professor primarius auf. Seine weit gesteckten Interessen umfassten auch die Botanik: In seinen Gärten kultivierte er fremdländische Pflanzen, deren Setzlinge und Samen er im Tausch von anderen Gelehrten erwarb. Aichholz starb 1588. Ein Begräbnis in St. Stephan blieb ihm als Protestant verwehrt; seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof vor dem Schottentor, wo es einen Abschnitt für Protestanten gab. 

Eduard Gurk, Aussicht von Annaberg gegen den Ötscher
Eduard Gurk, Aussicht von Annaberg gegen den Ötscher © Landessammlungen Niederösterreich

Der zweite im Bunde war Paul Fabricius (auch Pavel oder Paulus Fabricius), ein Universalgenie seiner Zeit: Er war Mathematiker, Arzt, Astronom, Botaniker, Geograph und Lyriker. Vermutlich 1528 erblickte er in Lauban/Lubań  in der Oberlausitz/Łużyce Górne das Licht der Welt. Seit zwei Jahren gehörte der Ort damals zu den  habsburgischen Ländern. 1553 wurde Fabricius nach Wien an den Hof Kaiser Ferdinands I. als Mathematicus berufen; er unterrichtete als zweiter Mathematikprofessor an der Artistenfakultät der Universität Wien. Gleichzeitig studierte er an der Universität Medizin und promovierte 1557. Er wirkte als Arzt im Bürgerspital, und das zu gefährlichen Zeiten: Sechs Mal hatte die Pest Wien heimgesucht, Fabricius er- und überlebte drei Epidemien. Als Astronom verfasste er Schriften über das Erscheinen zweier Kometen und einer Supernova. Er beriet Kaiser Rudolph II. in Fragen der Kalenderumstellung: 1582 löste ja der Gregorianische Kalender den Julianischen Kalender ab. Das Heilige Römische Reich übernahm den neuen Kalender 1583/84. Auch als Botaniker betätigte sich Fabricius: Vor den Toren der Stadt legte er einen Botanischen Garten an, auf einer Fläche zwischen der heutigen Währinger Straße und der Liechtensteinstraße. Als Kartograph fertigte er eine Karte der Grafschaft Mähren an; eine Karte Österreichs ist nicht mehr erhalten. Daneben hatte er noch Zeit, Gedichte zu Hochzeiten, Begräbnissen und anderen Anlässen zu verfassen. 1589 starb er nach einem arbeitsreichen Leben. Er hatte zwei Ehefrauen und seine sechs Töchter überlebt.

Eduard Gurk, Joachimsberg mit dem Ötscher bei Sonnenuntergang
Eduard Gurk, Joachimsberg mit dem Ötscher bei Sonnenuntergang © Landessammlungen Niederösterreich

Die Erstbesteigung des Ötschers erfolgte allerdings auf Betreiben von Carolus Clusius (Charles de l’Écluse, flämisch Karel van der Sluis). 1526 als Sohn eines Gutsbesitzers in Arras (Belgien) zur Welt gekommen, studierte er zunächst in Gent, ab 1546 in Löwen Jurisprudenz und Philosophie. Seine Ausbildung setzte er in Marburg und Wittenberg fort. Einschneidend waren die Jahre 1551–1554, die er an der Universität Montpellier verbrachte. Dort besuchte er Vorlesungen des Arztes und Naturforschers Guillaume Rondelet, die sein Interesse an der Botanik weckten. Nach zwei Jahren Medizinstudium in Paris kehrte er in seine Heimat zurück. Während eines Aufenthalts in Augsburg lernte er Mitglieder der Familie Fugger kennen und begleitete 1564–1565 zwei Söhne auf deren Reise nach Spanien und Portugal. Er durchquerte die Iberische Halbinsel von den Pyrenäen bis nach Gibraltar und erkundete die Pflanzenwelt, sammelte, zeichnete und beschrieb zahlreiche neue Arten. Als Glücksfall stellte sich seine Bekanntschaft mit Thomas Redinger heraus, den er in Paris kennengelernt hatte. Dieser machte ihn mit Johannes Crato von Krafftheim bekannt, dem Leibarzt dreier Kaiser – Ferdinand I., Maximilian II. und Rudolf II. Auf dessen Betreiben berief Kaiser Maximilian II. Clusius 1573 als Familiar (=Vertrauter) nach Wien mit einem Gehalt von 500 Gulden. Hier legte Clusius als Hofbotaniker einen medizinischen Kräutergarten und das erste Alpinum (=Steingarten mit Vertretern der Alpenflora) an. Ihm verdanken wir unter anderem die Rosskastanie – der erste Baum blühte im Theresianum, die Tulpe, den Erdapfel oder die Kaiserkrone. Der Erdapfel zierte damals freilich noch die Gärten des Kaisers und war keine Nutzpflanze. Die „exotischen“ Pflanzen im Garten bei der kaiserlichen Burg und im phasianos (=Fasanengarten) erwarb er durch Tausch; auf seinen Reisen hatte er ja einen großen Freundeskreis erworben, mit dem er im regen Austausch stand. Als Kaiser Rudolf II. alle Protestanten 1576 aus dem Hofdienst entließ, traf es auch Clusius. Er fand einen neuen Mäzen in der Person von Balthasar Batthyány, dem Inhaber der Burg Güssing. In den Jahren bis 1587 unternahm er zahlreiche Reisen durch Österreich, Ungarn und Kroatien, auf denen er die Flora studierte. Trotz seiner geschwächten Gesundheit unternahm er von Österreich aus auch zwei Exkursionen nach England. Er bestieg die wichtigsten Alpengipfel an der Grenze zwischen dem Erzherzogtum unter der Enns und dem Herzogtum Steiermark: den Ötscher (1574), den Hochwechsel (1576),  die Herrenalpe und den Dürrenstein (1578) und die Raxalpe (1583). Von seinen Ausflügen brachte er die von ihm gefundenen Pflanzen nach Wien mit und kultivierte sie in seinem Garten oder in dem von Johann Aichholz. 

    Seine Forschungen fasste er in der 1583 erschienenen Publikation Rariorum stirpium per Pannoniam, Austriam et vicinas quasdam provincias observatarum historia (Kunde der selteneren in Pannonien, Österreich und den angrenzenden Provinzen beobachteten Pflanzen) zusammen. Das Werk verkörpert die erste österreichische Pflanzenkunde, die mit ihren mehr als 500 Beschreibungen seltener Pflanzen 100 Jahre lang nicht übertroffen wurde. Diese Pflanzenkunde entspricht natürlich nicht den heutigen wissenschaftlichen Gepflogenheiten: Clusius kennt noch keine Systematik der Pflanzen; seine Pflanzenbeschreibungen sind aber exakt und konzentrieren sich auf die wesentlichen Bestimmungsmerkmale. Clusius führt auch immer die Standorte an und vermerkt gewissenhaft die volkssprachlichen Pflanzennamen. In seiner Darstellung der Flora der Wiener Kalkalpen beschreibt er etwa das rote Heidekraut, die Küchenschellen, die Aurikel, die kleine Schwertlilie usw. Bei seinen Wanderungen um Lunz fand er dort Narzissen (Dichter-Narzisse, Narcissus poeticus – Amaryllidaceae) und beschrieb deren Vorkommen: Sie kommt vor auf einigen Wiesen in der Nähe des sehr tiefen Sees beim Landgut Zeehof (= der Seehof bei Lunz) genannt, in welchen wir durch die Vorsorge des Verwalters der Karthause (gemeint ist Gaming) stets sehr freundlich und gastlich aufgenommen wurden, wenn wir uns auf die höchste Jöcher der Herrenalbe und des Dürnsteins begaben oder von jenen Jöchern wieder nach Gaming zurückkehren.[…] Zu welcher Zeit sie dort blüht ist mir nicht bekannt, und ich hätte es auch nicht gewusst, dass sie dort vorkommt, wenn ich nicht auf dem Wege zum See einige durch Wagenräder frisch herausgewühlte Zwiebel angetroffen hätte, denn zwei oder drei Tage hatten Landleute Heu ausgeführt. Jene aber, nach Wien gebracht, blühten in meinem Garten im Monate Mai. (Übersetzung nach Hans Malicky (Hg.), Auf Clusiusʼ Spuren, S. 5 und S. 243).    

    1587 verließ Clusius endgültig Österreich, versuchte sein Glück zunächst in Frankfurt und zog sich schließlich nach Leiden zurück. Dort legte er mit seiner Arbeit den Grundstein für den 1590 gegründeten botanischen Garten der Universität, der heute zum europäischen Kulturerbe zählt. 1593 zum Präfekt des Gartens bestellt, gelang es Clusius bereits in der ersten Saison einen Garten anzulegen, der 1.585 Exemplare von mehr als 700 Arten umfasste. Als  Kräutergarten diente die Anlage der Ausbildung der Medizinstudenten, stand aber auch der Bevölkerung offen. Clusius verstarb am 4. April 1609 in Leiden.

      Sosehr sich sein Werk auch von späteren botanischen Publikationen unterscheiden mag, bergen seine Beschreibungen der Pflanzenwelt Niederösterreichs und Pannoniens doch wichtige Erkenntnisse über die vorhandene Artenvielfalt. Selbst August Neilreich in seiner noch heute wichtigen Beschreibung der Flora von Nieder-Österreich (1859) griff auf die rund 275 Jahre davor erschienene Publikation Clusiusʼ zurück. Noch eine Bemerkung zu Neilreich: Blättert man durch seine Werk und liest die Beschreibung der Vorkommen der einzelnen Pflanzen, erkennt man, wie arm wir heute geworden sind: Zu Neilreichs Zeit kam die Dichter-Narzisse etwa noch massenhaft vor. Überzog im Frühling mit ihrem weißen Schimmer die Wiesen der Kalkvoralpen. Seidelbast – Daphne mezereum, dessen Fund heute den Naturliebhaber das Herz höher schlagen lässt, war damals keine Seltenheit, sondern er wuchs auf Felsen, Wiesen, Grasplätzen, an lichten Waldstellen der Kalkgebirge bis in die untere Voralpenregion. In der Kalkzone der Kreise U. W. W. und O. W. W. stellenweise sehr häufig, am schönsten und in grosser Menge auf dem Waxeneck bei Pottenstein. Auch auf tertiären Hügeln wie am Wetterkreuze bei Hollenburg und im Horner Stadtwalde, ja selbst auf sandigen Triften der Ebene wie bei Siebenbrunn, Gänserndorf, Weikendorf und Oberweiden im Marchfelde sehr zahlreich, um Neilreich zu zitieren. Orchi militaris – das Helm-Knabenkraut, das heute als sehr gefährdet gilt – blühte in den Monaten Mai und Juni ueberall auf Wiesen, an sonnigen buschigen Stellen, an Waldrändern gebirgiger subalpiner Gegenden bis in die Krummholzregion der Alpen, auf Sandstein, Kalk, Schiefer, auch auf tertiären Hageln und Wiesen niedriger Gegenden, selbst auf Moosgründen und Allurien der Donau sehr häufig z.B. in den Auen unterhalb Mautern und bei Klosterneuburg. Ebenso fand man den heute streng geschützten gelb blühenden Frauenschuh Cypripedium Calceolus – in ganz Niederösterreich: An steinigen buschigen Stellen hügliger, gebirgiger und subalpiner Gegenden bis an die Grenze des Krummholzes, zerstreut im ganzen Lande. Auf der tertiären Hügelkette des Kreises U. M. B. bei Patzmannsdorf, Ernstbrunn, Höbesbrunn, Wolkersdorf und Matzen. Auf den Hainburger Bergen und dem Leithagebirge. Auf den Sandsteinen und Conglomeraten des Kahlengebirges, im Rohrwalde, auf dem Bisamberge, Leopoldsberge, Kahlenberge, Cobenzl, auf den Hügeln von St. Veit. Auf den Kalkvoralpen, am Gans, im Saugraben des Schneeberges, im Höllenthale, auf der Schütt der Griesleiten unter Krummholz, dann bei St. Egid, Lilienfeld, Josefsberg, Neuhaus, Lunz, am Lassingfalle, am Frlafsee [sic], im  Luggraben bei Scbeibbs. Am Schildberg und in Wäldern bei Einöd im untern Traisenthale, am Wetterkreuz bei Hollenburg. Auf dem Schiefergebirge, in den Umgebungen von Melk, am Schafberge bei Mautern, im Alaun- und Rehbergcr Thale bei Krems, bei Dross, Mittelberg, Krumau, Stockern, auf den östlichen Abfallen des Manhartsberges. 150 Jahre menschlicher Einfluss haben genügt, um die Wiesen und Wälder ihrer Artenvielfalt zu berauben. 

      Friedrich Gauermann, Wolken über dem Ötscher
      Friedrich Gauermann, Wolken über dem Ötscher © Landessammlungen Niederösterreich

      Noch einmal zurück zum Ötscher: Mit der „Entdeckung der Landschaft“ als romantische Projektionsfläche im Biedermeier wurde der weithin sichtbare Gebirgsstock mit seinem markanten Profil ein beliebtes Motiv in der Malerei. Eduard Gurk porträtierte ihn auf mehreren Aquarellen seiner Folge Die Mahlerischen Reise von Wien nach Maria Zell, die im Auftrag König Ferdinands 1833 entstand. Auch Friedrich Gauermann und Thomas Ender, um nur die prominentesten Maler zu nennen, hielten das sagenumwobene Bergmassiv mit seinen Schluchten und Wasserfällen in ihren Bildern fest. Eingang fand der Ötscher auch in die „vaterländischen“ historischen Werke der Zeit: Schweickhardt in seiner Darstellung des Erzherzogthums Österreich unter der Ens, Viertel Ober-Wienerwald beschrieb den Anblick des Berges von Josefsberg aus: Hat man nun, obwohl etwas erschöpft, die Höhe erreicht, so lohnt dafür die großartige Aussicht, die sich vorzüglich gegen Westen und Süden ausbreitet, indem man in ernster Gestalt den majestätischen Oetscher gerade vor sich hat, und zwar von seiner imposantesten Seite, wo ein langer Kamm von steilen, scharf gezackten Felsen, gleich einer ungeheuren Mauer, fast von seinem Fuße bis zu seiner Spitze sich aufthürmend, dahinzieht, was vorzüglich am Abend bei Verglühen der scheidenden Sonne einen erhabenen Anblick gewährt, indem dann die ganze ungeheuere Kegelmasse des Berges, über so vielen Höhen und Schluchten emporragend, und diese gigantische Felsenastung in den dunkeln Umrissen, in ernster Größe noch mehr als am Tage hervortreten, und ein Bild geben, welches dem ähnlich ist, von Felsenrissen der Gebirge am Meere. Schweickhardt hatte hier genau die atmosphärische Stimmung beschrieben, die Eduard Gurk im Aquarell festgehalten hatte. Fasziniert war Schweickhardt auch von den sagenumwobenen Höhlensystemen, die Menschen schon vor ihm beeindruckt hatten. Bereits Kaiser Rudolf II. hatte 1592 eine zweite wissenschaftliche Expedition angeordnet, die die Höhlen des Ötschers untersuchen sollte: das Tauben-, das Gold- und das Wetterloch. Im Band 5 betätigte sich Schweickhardt auch als „Bergführer“, indem er ausführlich mögliche Aufstiegsvarianten beschrieb: von der Westseite, vom sogenannten Lackenhof aus, und von der Ostseite vom Wienerbrückel oder von Mitterbach aus. Für die Variante von Mitterbach aus veranschlagte er rund anderthalb Tage mit einer Übernachtung beim Bauerngehöft Kollmer. Von dort ging der Aufstieg weiter zu dem Rücken, der den großen und kleinen Ötscher verbindet. Nach insgesamt etwa vier Stunden Aufstieg hatte man dann den Gipfel erklommen: Dort entfaltete sich ein einzigartiges Bergpanorama, dessen Beschreibung Schweickhardt zwei Seiten widmete; hier ein Ausschnitt: Weit über das wogende Hügelmeer, dem Viertel unter und ob dem Wienerwalde, fliegt der Blick in Osten und Norden bis über die fernen Fluthen der Donau, an die Anhöhen an ihrem linken Ufer, und weit im Westen hinauf eilt er bis an die fruchtbaren Gefilde der Ens und Steier. Majestätisch wälzt sich die Donau durch das reiche üppige Bild, und mit bewaffnetem Auge erkennt man leicht Marbach und den berühmten Wallfahrtsort Maria Taferl auf seinem Berge; so wie der Blick nach Süd-Osten gewendet, den Gnadentempel Mariazell begrüßet, welches in höchst pitoresker Schönheit von diesem Standpunkte sich zeiget. […] Welche Worte vermöchten wir da niederzuschreiben, bei dem Anblicke der sich majestätisch auftauchenden zahllosen Alpengipfel, der großen Kalk-Alpenkette, mit ihren wunderbaren Zacken, Tafeln und Wänden?! 

      Der Oetscher, aus Schweickhardt, Band 5
      Der Oetscher, aus Schweickhardt, Band 5 © Bayrische Staatsbibliothek

      Autorin: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

      Verwendete und weiterführende Literatur:
      Caroli Clusii Atrebatis Rariorum aliquot Stirpium, per Pannoniam, Austriam, & vicinas quasdam Provincias observatarum Historia, [...], Antwerpen 1583 (http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00040212).
      Carolus Clusius und seine Zeit. Symposion in Güssing 1973 (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland Heft 54, Kulturwissenschaften Heft 10), Eisenstadt 1974.
      Festschrift anläßlich der 400jährigen Wiederkehr der wissenschaftlichen Tätigkeit von Carolus Clusius (Charles de l’Escluse) im pannonischen Raum (Burgenländische Forschungen Sonderheft V), Eisenstadt 1973.
      Max H. Fink und Margit Gerstner, Eine denkwürdige Ötscherbesteigung im Jahre 1574, in: Die Höhle 43 (1992) S. 105–108.
      Helga und Wilhelm Hartmann, Das Geldloch am Ötscher in Niederösterreich: Die Erforschungsgeschichte einer Höhle im Spiegel vier Jahrhunderten, in: Die Höhle 35 (1984), S. 155–166.
      Hans Malicky (Hg.), Auf Clusius‘ Spuren. Wanderungen durch die Natur des Ötscherlandes (Naturkunde des Bezirkes Scheibbs Bildband 1), Scheibbs 1989.
      August Neilreich, Flora von Nieder-Österreich. Eine Aufzählung und Beschreibung der im Erzherzogthume Oesterreich unter der Enns wild wachsenden oder in Grossem gebauten Gefässpflanzen, nebst einer pflanzengeografischen Schilderung des Landes. Wien 1859.
      Heinrich Wilhelm Reichardt, Carl Clusius und sein botanisches Wirken in Nieder=Österreich, in: Blätter für Landeskunde von Niederösterreich II (1866) S. 33–40.
      Franz Xaver Joseph Schweickhardt, Darstellung des Erzherzogthums Österreich unter der Ens, Viertel Ober-Wienerwald, Bd. 5, Wien 1836, S. 236–244 und Bd. 6, Wien 1837, S. 15 und S. 23f.
      Kurt Stueber, www.BioLib.de

      Für Wanderfreudige:
      Werner Bätzing und Hannes Hoffert-Hösl, Der Ötscher. Wanderungen in den niederösterreichischen Kalkalpen, Zürich 2015.
      Bernhard Baumgartner und Werner Tippelt, Wandererlebnis Ötscher mit Natur und Schitourenführer, St. Pölten 1998.

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