Vom Kaiserbrunnen in die Residenzstadt: Die I. Wiener Hochquellenleitung
Klares, reines Wasser aus den niederösterreichischen Alpen ergoss sich nun in das Bassin mitten im Herzen der Residenzstadt.Am 24. Oktober 1873 war es endlich soweit: Im Ehrenhof des Palais Schwarzenberg – zu dieser Zeit hatte man noch freie Sicht auf den Prachtbau, heute ist dieser durch das im August 1945 errichtete Heldendenkmal verstellt – erhob sich das Festzelt des Kaisers, in dem sich die Minister, der Hochadel und die Honoratioren der Stadt versammelt hatten. Rund um den Platz, der damals noch ein Raum des Flanierens und nicht des Verkehrs war, drängelten sich die schaulustigen Wiener:innen – neugierig wie immer. Gegen 11 Uhr rollte das kaiserliche Gespann heran: Der Festakt gipfelte in der Inbetriebnahme des Hochstrahlbrunnens. Die gegen Himmel schießende Fontäne sollte Beweis für das Funktionieren der Hochquellenleitung sein. Beinahe wäre dieser Akt gescheitert und hätte sich damit nahtlos in die Ereignisse des Katastrophenjahres 1873 gereiht – Börsenkrach, Choleraepidemie und schließlich eine Weltausstellung, die zum finanziellen Desaster werden sollte. Denn der Bauleiter der I. Wiener Hochquellenleitung Carl Mihatsch, dem die Aufgabe zufiel, den Brunnen in Betrieb zu nehmen, musste einen minutenlangen Kampf mit dem Absperrventil führen. Alle hielten den Atem an – und dann war es doch soweit – aus dem durch Felsbrocken kaschierten Wasserrohr erhob sich endlich die heiß ersehnte Wasserfontäne: Klares, reines Wasser aus den niederösterreichischen Alpen ergoss sich nun in das Bassin mitten im Herzen der Residenzstadt. (Abb. 1)
Beim abendlichen Bankett im Kursalon erging sich die politische und gesellschaftliche Prominenz Wiens in Lobhudeleien, egal, ob man zuvor ein Befürworter oder Gegner des Projektes gewesen war – und Gegner hatte es viele gegeben. Die allgemeine Begeisterung gipfelte in den Trinksprüchen, so etwa in dem Lassers von Zollheim, Minister des Inneren: Es hat schon vieles in Wien gegeben, was sich einen Weltruf errungen. Wir haben heute „Wiener Blut“ pulsiren gehört; Wiener Musik, welche stets auch die Fremden in Bewegung gesetzt; wir haben das Wiener Bier, das sich den Weltmarkt erobert hat, aber das Wiener Wasser hat nirgends für gut gegolten und das der Wien [gemeint ist der Wienfluss] schon gar nicht. […] Der heutige Tag hat die Sachlage verändert. Das Wasser Wiens wird vom heutigen Tage an zu einem Hochgenuß, einer Sehenswürdigkeit, einer Anziehungskraft. Wer das Glück gehabt hat, heute dem Schauspiele beizuwohnen, wie die silbernen Garben des Wassers hervorschossen und in Regenfarben schimmerten, der wird es begreifen, daß das Wasser Wiens allein eine Reise nach Wien lohnt. Die Begeisterung für das Wiener Wasser hielt und hält an. Nach 1873 wiesen Zeitungskleinanzeigen in der Rubrik „Wohnungen“ stolz auf den Anschluss des Hauses an die Hochquellenleitung hin. Und die Anker-Brotwerke texteten auf ihren Werbeplakaten seit 1935:
Zisternen, Brunnen, Wasserreiter
Die Versorgung der Bevölkerung mit Trink- und Brauchwasser stellte die Verantwortlichen seit dem Mittelalter vor immer größere Probleme. Die Römer hatten bereits Wasser von Quellgebieten über Aquädukte in ihre Landgüter, Paläste, Kastelle oder Thermen geleitet und dort in Zisternen gesammelt. Nach dem Niedergang des Römischen Reiches verfielen die Anlagen, die Techniken gerieten in Vergessenheit. Man versorgte sich jetzt aus Wasserläufen und Brunnen mit dem notwendigen Wasser. Meist waren es die Klöster, die die ersten Wasserleitungen verlegten. Im städtischen Bereich belegen Rechnungen seit dem Spätmittelalter die Existenz von Wasserleitungen, die die Brunnen speisten, so bereits im 13. Jahrhundert in Eggenburg (Wasser der Urtlbachquelle zum Brunnen auf dem Hauptplatz), 1506 in Weitra, 1514 in Krems an der Donau (1521 Wasserleitung aus dem Alauntal zu Brunnen auf dem Hohen Markt), 1589 in Waidhofen an der Thaya (Holzröhren) usw.
Mit dem Anwachsen der Bevölkerung und der Zunahme der gewerblichen Betriebe wurde die Gefahr der Verunreinigung immer größer. In der Residenzstadt Wien versorgten Hausbrunnen und öffentliche Brunnen die Einwohner:innen mit Trink- und Nutzwasser. Gespeist wurden sie von angebohrten Grundwasserströmen, später dann von Quellwasserleitungen. Die älteste „städtische“ war die Hernalser Wasserleitung, deren Bau Kaiser Ferdinand I. 1526 angeordnet hatte. Errichtet wurde sie allerdings erst 1565. Trotz der existierenden Wasserleitung, die die Hofburg versorgte, ließ Kaiser Karl VI. Wasserreiter frisches Bergwasser von Kaiserbrunn nach Wien bringen. Bis zum 19. Jahrhundert entstanden an die 18 Wasserleitungen, die öffentliche Brunnen speisten (Abb. 2 & 3). Allerdings reichten die so aufgebrachten Wassermengen nicht aus; daneben waren weiter zahlreiche Hausbrunnen in Verwendung. Der Ausbruch von Epidemien belegt deren mangelnde Wasserqualität. Vom indischen Subkontinent kommend erreichte 1831 die Cholera-Pandemie auch Wien. Weitere Epidemien folgten 1836, 1849, 1854/55, 1866 und schließlich 1873. Im Zeitraum 1831–1873 erlagen rund 18.000 Wiener:innen der Seuche. 1854 gelang dem englischen Arzt John Snow der Nachweis, dass an der Verbreitung der Cholera verunreinigtes Trinkwasser schuld war.
Ende 1858 wurde in Wien eine Kommission eingesetzt, die u.a. die Wasserqualität der Wiener Brunnen bzw. Wasserleitungen untersuchen sollte. 1860 erschien das Ergebnis der Untersuchungen unter dem Titel: Das Wasser in und um Wien rücksichtlich seiner Eignung zum Trinken und zu anderen häuslichen Zwecken. Auf 138 Seiten wurden detailliert die Temperatur, der Härtegrad und die Reinheit beschrieben. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Ammoniumgehalt des Wassers. Ammonium entsteht bei der Zersetzung von toten Lebewesen oder Exkrementen. Die Analyse ergab, dass zwar einige Brunnen frei von Ammonium waren, andere aber sehr hohe Anteile aufwiesen. Solche Brunnen befanden sich immer in der Nähe von Ställen, Senkgruben oder Dungstätten. Weiters zeigte sich, dass das Wasser vieler Brunnen, wenn man es einige Stunden ruhig stehen ließ, von schlammartigen Fäden durchzogen war und sich ein dunkelbrauner Bodensatz bildete. Bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich so schmackhafte Beigaben, wie Fasern von Leinen und Baumwolle, Pilzsporen und -reste, die von den Holzröhren stammten, Algen und auch lebende Tierchen, wie Larven, Wassermilben und Fadenwürmer. Die zum Teil bedenkliche Qualität des in Wien zur Verfügung stehenden Wassers und vor allem der stark steigende Bedarf, der durch die existierenden Wasserleitungen und Brunnen nicht gedeckt werden konnte, führte zu Überlegungen, wie man diese Probleme beheben könnte.
Der lange Weg zum „göttlichen Naß“
Zur Lösung des Problems wurde am 1. Dezember 1861 ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, in dem es in erster Linie um die Frage der Wasserbeschaffung ging. Zwölf Offerte wurden eingereicht: Vorgeschlagen wurde u.a. die Nutzung des Donauwassers, eine Ableitung der Traisen oberhalb von St. Pölten, die Fassung der Quelle der Fischa oder die Nutzung des Wassers des Wiener Neustädter Kanals als Nutzwasser. Die endgültige Entscheidung sollte die am 21. November 1862 eingesetzte Wasserversorgungs-Kommission treffen, für die die Gemeinderatsmitglieder der Rechtsanwalt und spätere Bürgermeister Cajetan von Felder (Abb. 4), Regierungsrat Heinrich von Fellner, der Architekt Ludwig Förster, der Physiker Ferdinand Hessler, der Ingenieur Leopold Jordan, der Arzt Josef Klucky, der Arzt Johann August Natterer, der Architekt Franz Neumann, der Unternehmer Leopold Schuch, der Apotheker Wenzel Sedlitzky, der Industrielle Franz von Wertheim und der Journalist August Zang gewählt wurden. Nach dem Tod von Ludwig Förster und dem Ausscheiden von August Zang wurden der Geologe Eduard Suess (Abb. 5) und der Jurist Eduard Kopp nachnominiert.
Im folgenden Jahr untersuchte man die in Frage kommenden Wasservorkommen. Es ging dabei nicht nur um die Qualität des Wassers, sondern vor allem auch um die Quantität. Im Vorfeld hatte man bereits vorsichtige Schätzungen des Wasserverbrauchs angestellt: Innerhalb des Linienwalls lebten zu dieser Zeit etwa 630.000 Menschen. Für die Berechnung wurde dann auf 1,000.000 aufgerundet. Pro Person und Tag nahm man einen Verbrauch von 0,6 Eimern (=ca. 34 Liter) an. Für die Versorgung der Industrie und Gewerbebetriebe berechnete man 250.000 Eimer, für das Besprengen der Fahrbahnen, das viermal täglich erfolgte, 300.000 Eimer, für Springbrunnen und Badeanlagen 200.000 Eimer, für die Bewässerung der Grünanlagen 30.000 Eimer und für den Betrieb der Kanalisation 20.000 Eimer. Der sich daraus ergebenden tägliche Gesamtbedarf von 1,400.000 wurde in Anbetracht der ständig wachsenden Bevölkerung auf 1,600.000 Eimer erhöht.
1863 wurden die Quellgebiete im Wienerwald, im Raum Wiener Neustadt und im Gebiet der Traisen näher untersucht. Ein Hoffnungsträger war die Fischa-Dagnitz, die noch heute aufgrund ihrer Wasserqualität ein beliebtes Fischwasser ist. Wenn auch die Wasserqualität den Forderungen entsprach, so waren die Wassermengen und die erforderliche Höhenlage nicht ausreichend. Denn um das Wasser durch natürliches Gefälle nach Wien zu leiten, mussten die Quellen zumindest 250 Fuß (76 m) über dem Wiener Null – die Bezugshöhe für städtische Messungen lag damals bei der Ferdinandsbrücke – liegen. Bei der Suche nach ergiebigen Quellen dehnte man die Suche weiter nach Süden bis ins Höllental aus. Man kam zu dem Schluss, dass die Quellen Kaiserbrunn, Stixenstein und Alta am besten geeignet wären, die Residenzstadt mit Trinkwasser zu versorgen. Die Leitung wurde als Gravitationsleitung projektiert: D.h. das Wasser fließt bis heute ohne Pumpwerke von dem 522 m hoch gelegenen Kaiserbrunnen allein durch die Nutzung der Schwerkraft in die 276 m tiefer liegende Stadt. Für die Strecke benötigt das Wasser 24 Stunden. Trotz der längeren Leitung – immerhin rund 95 km – war die Nutzung dieser Quellen kostengünstiger, da man etwa für die Nutzung der Fischa-Dagnitz wegen des mangelnden Gefälles Pumpwerke hätte errichten müssen. Der Geologe und Gemeinderat Eduard Suess verfasste den abschließenden Bericht, der von Experten geprüft und dem Gemeinderat vorgelegt wurde. Am 12. Juli 1864 beschloss der Gemeinderat die Versorgung der Stadt Wien mit Wasser durch die Vereinigung der Quelle des Kaiserbrunnens, bei Stixenstein und der Alta bei Brunn im Steinfelde zu erzielen und die Vereinigung und Hereinleitung dieser Quellen mit aller Kraft anzustreben.
Die Altaquelle, im Höllerloch bei Pitten entspringend, hatte die Gemeinde bereits am 25. Oktober 1863 erworben. Nur wenige Tage nach dem Beschluss, am 21. Juli 1864, machte Graf Ernst Hoyos-Sprinzenstein, der Besitzer der Herrschaft Stixenstein, die Quelle in Stixenstein bei Sieding (Gemeinde Ternitz) der Residenzstadt zum Geschenk. Und anlässlich der Eröffnung der Wiener Ringstraße am 1. Mai 1865 überließ Kaiser Franz Joseph den Kaiserbrunnen bei Kaiserbrunn im Höllental unentgeltlich der Gemeinde.
Damit waren die Vorarbeiten aber noch nicht abgeschlossen. Noch ein Jahr sollte die erste Ausarbeitung des Projektes dauern. Für die Trassierung und notwendigen Bauten wurden zwei Abteilungen eingesetzt. Die beiden Ober-Ingenieurs-Abtheilungen legten schließlich für die Begutachtung ein Konvolut von 357 Plänen, 6 Heften Querprofile mit 86 Blättern, 91 Cataster-Mappen mit eingezeichneter Linie, 78 Heften Kostenberechnungen und 4 Heften Parcellen-Protokolle vor. Ein Expertengremium wurde zur Begutachtung herangezogen. Zehn Sitzungen lang wurden Diskussionen geführt, bis der endgültige Antrag abgefasst und in der Sitzung am 19. Juni 1866 beschlossen werden konnte.
Was zu diesem Zeitpunkt noch offen war, war die Finanzierung, aber lassen wir dazu die Urkunde zur bleibenden Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag zu Wort kommen, die Kaiser Franz Joseph während der Eröffnungsfeierlichkeiten feierlich unterzeichnet hatte: Voll ungebeugter Zuversicht und voll Vertrauen auf eine ungestörte Fortentwicklung Wiens genehmigte der Gemeinderath in den trübsten Tagen Wiens – am 19. Dezember 1866 – die Mittel zum Baue der Wasserleitung, indem er aus dem aufzunehmenden Anlehen in der Höhe von 25 Millionen Gulden 14 Millionen Gulden zum Baue der Wasserleitung bestimmte. – Am 3. Juli 1866 hatte die kriegsentscheidende Schlacht bei Königgrätz stattgefunden, in der die Monarchie eine verheerende Niederlage gegen Preußen erlitten hatte. Die preußische Armee war danach fast bis Wien vorgedrungen und hatte erst auf der Linie Stockerau-Gänserndorf Halt gemacht.
Die erste Wasserversorgungskommission wurde durch eine zweite abgelöst. Obmann wurde Vizebürgermeister Cajetan von Felder, seine Stellvertreter Eduard Suess und der Jurist Leopold von Mende, der vom Landgemeindebezirk Zwettl in den Gemeinderat entsandt worden war. Weitere zwei Jahre dauerte es, bis die rechtlichen Grundlagen für die Übereignung der Quellen in den Besitz der Gemeinde geschaffen waren. Erst dann, am 22. Juli 1868 erteilte die k. k. niederösterreichische Statthalterei der Gemeinde die Bewilligung zum Bau und zur Enteignung der benötigten Grundstücke. Anlässlich der Ausschreibung legten zehn Baufirmen Anbote. Den Zuschlag erhielt der Londoner Antonio Gabrielli im April 1869, da er der günstigste war. Sein Bauunternehmen hatte Wasserbauten in Ancona, Neapel und Palermo durchgeführt, ferner einen neuen Hafen auf der Insel Malta und ein Marine-Arsenal in Chatam (Kent) errichtet. In seinem Anbot hatte Gabrielli sich dazu verpflichtet, auf ein Prozent seiner Verdienstbeiträge bis zu einer Gesamtsumme von 100.000 Gulden zu verzichten. Mit diesem Geld sollte der Hochstrahlbrunnen errichtet werden.
Im Dezember desselben Jahres wurde im Höllental die erste Stollenmine gesprengt. Der offizielle Beginn der Bauarbeiten erfolgte allerdings erst mit dem Spatenstich zur Errichtung des Wasserbehälters auf dem Rosenhügel, ausgeführt von Kaiser Franz Joseph am 21. April 1870.
Die ca. 150 km lange Strecke von Kaiserbrunn zum Rosenhügel in Wien wurde für die Baudurchführung in sieben Baulose eingeteilt. Das erste führte von Kaiserbrunn über Reichenau, Payerbach, Gloggnitz und Stuppach bis nach Ternitz. Dort vereinigte sich das „kaiserliche“ Wasser mit dem Quellwasser von Stixenstein. Das zweite Baulos erstreckte sich über 10.450 Klafter (19,813 km) von St. Johann über Neunkirchen, Mollram bis Weikersdorf. Das dritte Baulos – die Zuleitung der Altaquelle wurde geplant, aber nicht gleich ausgeführt. Weiter ging es in zwei Baulosen von Weikersdorf über Fischau nach Matzendorf und von dort bis Dörfl bei Baden. Das sechste Baulos umfasste den Leitungskanal von Dörfl über Gumpoldskirchen nach Mödling. Der letzte Abschnitt schließlich überwand die Abhänge des Wienerwaldes und führte über Liesing, Mauer, Speising bis zum Wasserbehälter am Rosenhügel.
Das schwierige Gelände durch und über die Ausläufer der Voralpen und des Wienerwaldes machte die Anlage von Stollen und die Errichtung von Aquädukten notwendig, um das Wasser durch den Leitungskanal nach Wien zu bringen. Insgesamt mussten 26 Stollen geschlagen werden. Der längste mit 2.900 Metern war der Hauptstollen im Höllental vom Kaiserbrunnen bis nach Hirschwang. Insgesamt waren 8.045 Meter zu schlagen. Dazu kamen noch zwei Stollen im Bereich der Zuleitung der Stixensteiner Quelle.
Das unterschiedliche Terrain, das es zu durchschlagen galt, erforderte verschiedene Bauweisen: Im lockeren Terrain wurden die Stollen an den Wänden, der Sohle und der Decke mit Quadern verkleidet. Bei etwas brüchigem Material wurden die Wände und die Decke ausgemauert. Im felsigen Terrain begnügte man sich mit einem Verputz aus Portlandzement, der die Stollen wasserdicht machen sollte.
Dreißigmal musste die Wasserleitung mittels Aquädukten Täler überqueren. Alle Bauwerke stehen heute unter Denkmalschutz. Die längsten Konstruktionen überspannen die Täler bei Leobersdorf (1.065 Meter, 20 Pfeiler), bei Baden südlich der Helenenstraße (788 Meter, 41 Pfeiler), bei Liesing (794 Meter, 43 Pfeiler), bei Wien-Mauer (533 Meter, 13 Pfeiler), bei Matzendorf (493 Meter, 93 Pfeiler), bei Gainfarn (rund 300 Meter), bei Wien-Speising (197 Meter, 7 Pfeiler), bei Mödling (186 Meter) usw. Die Aquädukte wurden aus Stein mit Ziegelgewölben errichtet. Das Ziegelmaterial war allerdings nicht frostbeständig und anfällig für Temperaturschwankungen, Feuchtigkeit und Frost.
Während des gesamten Baus hatte man gegen eindringendes Grundwasser zu kämpfen. Aus diesem Grund musste der Leitungskanal besonders gut abgedichtet werden. Besonders anspruchsvoll erwies sich dabei das erste Baulos ab dem Stollenende in Hirschwang. Der Leitungskanal führte hier direkt durch Grundwasser führende Schichten. Die Sohle und die Widerlagsmauern wurden aus Bruchsteinen hergestellt, die Gewölbe teils aus Bruchsteinen, teils aus Ziegelmauerwerk. Immer wieder mussten Stützmauern errichtet werden, um Hänge abzufangen oder bestehende Gebäude vor dem Einsturz zu bewahren.
Die Bauarbeiten an den einzelnen Baulosen wurden durch Anton Gabrielli an Subunternehmer vergeben. Manche erwiesen sich dabei als überfordert. So musste Gabrielli für die Tunneldurchschläge schließlich die Hilfe des Militärs anfordern, nachdem der Wiener Baumeister Franz Schlögl an der Aufgabe gescheitert war. Das 2. Bataillon des k.k. Genie-Regiments Erzherzog Leopold Nr. 2 errichtete im Rahmen seiner Ausbildung einen Stollen bei Mödling. Und als Gabrielli, der zunächst seine italienischen Arbeiter einsetzte, immer stärker unter Zeitdruck geriet, schickte Anfang 1871 das k.k. Reichskriegsministerium 70 Sappeure zur Unterstützung. Schließlich übernahmen die Sappeure den gesamten Bau des Hauptstollens, während die zivilen Arbeiter beim Bau der restlichen Stollen eingesetzt wurden. Im Mai 1872 konnte der Durchschlag des Hauptstollens bei Hirschwang gefeiert werden. Die anderen Durchbrucharbeiten waren im Frühjahr 1872 fertiggestellt. Die Bauarbeiten an den Aquädukten waren mit Beginn des Jahres 1873 abgeschlossen. Die Wasserbehälter in Wien – Rosenhügel, Schmelz und Wienerberg – konnten am 1. September 1873 geflutet werden. In der architektonischen Ausgestaltung derselben hielt man sich an die Empfehlungen der Begutachtungskommission: Betreffs der architektonischen Ausstattung der Objecte haben wir uns in der Anschauung geeinigt, daß alle einem so großartigen Werke angehörigen Objecte den Stempel der Einheit tragen, d. h. nur in einem charakteristischen und der Bestimmung des Werkes angemessenen Style, welcher die strengste Einfachheit bedingt, bewegen müssen. Die sogenannten Wasserschlösser (Brunnstuben) sollen sich nur als das, was sie sind, nämlich als Zugang zu den Quellen kennzeichnen. Der Schmuck der Aquäducte soll in ihrer Größe und den schönen Verhältnissen ihrer Bogenstellung liegen. Zweckmäßig gewähltes Baumaterial, exacte Ausführung und einfache kräftige Gesimse – ist alles, was zum Schmucke verwendet werden kann.
Die Bauzeit – von der ersten Sprengung bis zur Eröffnung – war mit 46 Monaten relativ kurz. Aber dennoch zu lang: Denn Mitte Juni 1873 brach in Wien wieder die Cholera aus. Die ersten Opfer waren Gäste des „Weltausstellungshotel“ Donau (Nordbahnstraße 50). Der Ausbruch wurde zunächst vertuscht; aber schon am 3. Juli berichtete die Londoner Times über die ersten Toten, sie waren Besucherinnen der Wiener Weltausstellung gewesen. Was man versucht hatte, zu vermeiden, trat ein: Die Zahl der Gäste ging weiter zurück, das befürchtete finanzielle Fiasko wurde noch größer. Binnen drei Wochen hatte sich die Cholera über alle Bezirke der Residenzstadt verbreitet. Bis Oktober starben 2.983 Menschen. Mitten in diesen schmerzvollen Tagen traf am 17. August 1873 um 12:40 Uhr der erste Wasserschwall vom Kaiserbrunnen im Wasserreservoir am Rosenhügel ein, empfangen von den Honoratioren der Stadt. An den ersten Tagen war das Wasser noch trüb, spülte Schlamm und Verputzreste aus dem Leitungskanal. Aber nach nur einer Woche strömte es klar und kalt in die Brunnstube.
Bereits bei Inbetriebnahme der Hochquellenleitung benötigte die Residenzstadt mehr Wasser als die Zuleitung vom Kaiserbrunn und der Quelle Stixenstein liefern konnten. Die Idee der Erschließung der Altaquelle war ja schon während der Bauzeit aufgegeben worden. 1878 errichtete man ein Grundwasserwerk in Pottschach; ab 1887 begann man mit der Fassung der Quellen oberhalb des Kaiserbrunns, 1899 schließlich erwarb man die Sieben Quellen im Karlgraben bei Neuberg an der Mürz. Allerdings errichtete man erst ab 1965 den Schneealpenstollen, der für die Einleitung dieser neuen Quellen nötig war. Noch in den letzten Jahren der Donaumonarchie erreichte man eine ausreichende Versorgung der Residenzstadt durch den Bau der II. Hochquellenleitung. Deren Grundsteinlegung erfolgte am 11. August 1900, ihre Inbetriebnahme am 2. Dezember 1910. Sie bringt Quellwasser aus dem Hochschwabgebiet (Steiermark) nach Wien.
Errichtung und Fertigstellung der Hochquellenleitung fanden reichen Niederschlag in der Presse. Schon über die erste Sprengung berichtete etwa die Morgen-Post vom 8. Dezember 1869. Zum Thema machte der Korrespondent auch das Festbankett, das in Schnepf´s Gasthaus am Kaiserbrunnen stattfand: Es war ein niedliches Bankett mit 29 Gedecken. Die Herren und Damen waren in ungezwungener Toilette […]. Das Menu bestand aus Nudel- und Speckknödel-Suppe, Rindfleisch mit Kohl und Schweinebraten. Die Getränke waren direkte vom Kaiserbrunnen. Noch heute besteht diese seit 1839 existierende historische Gaststätte. Der Floh textete in seiner Weltausstellungs-Zeitung vom 25. Oktober 1873: Ein heißer Kampf mußte ausgefochten werden, um den Widerstand der Natur zu brechen, die feindlichen Elemente dem willensstarken Geiste zu unterwerfen. Aber er wurde glorreich ausgekämpft. Die berühmten Wasserwerke der Römer, ihre Straßen und Aquäducte sind durch die Wiener Wasserleitung in Schatten gestellt. Die siegreiche Durchführung des genialen Projectes ist ein Zeichen mehr, für die immer rascher fortschreitende Entwicklung des Menschengeschlechtes, ein hehres Monument für die Alles bezwingende Macht des Geistes und des unbeugsamen Willens. Die ersten Cascaden des Hochstrahlbrunnens waren ein rauschendes Huldigungslied der unterjochten Elemente, dargebracht ihrem Bezwinger und Beherrscher – dem Menschen. Durch starre eisbedeckte Felsen, durch sumpfiges Erdreich und lockeres Gewölbe mußte oft in sechs Klafter tiefen Canälen der 13 Meilen lange Weg für die herrliche Gottesgabe gebahnt werden. Achtzehn Tunnel wurden gebohrt, fünf grandiose Aquäducte erbaut, ein viele Hundert Meilen langes Röhrennetz in die Erde versenkt und – gestern wurde der Einzug des längstersehnten Gastes in unserer Stadt gefeiert.
Der Baufortschritt wurde von Fotografen dokumentiert, und nach der Fertigstellung erschienen in den Verlagen Postkartenserien, die emsig von Sommerfrischler:innen verschickt wurden. Rudolf von Alt schuf eine Folge von Aquarellen, die die wichtigsten Bauwerke der Hochquellenleitung zeigten: die Wasserschlösser in Kaiserbrunn und Stixenstein, die Aquädukte in Leobersdorf und Liesing und das Wasserreservoir auf dem Rosenhügel. Auch in die Wiener Musik fand die Hochquellenleitung Eingang: 1911 komponierte Eduard Strauss die Polka Mazur Die Hochquelle.
Wasserleitungsmuseum und 1. Wiener Wasserwanderweg
Am 24. Oktober 1973 – 100 Jahre nach der Inbetriebnahme der I. Wiener Hochquellenleitung – wurde im Haus des ersten Wasseraufsehers das Wasserleitungsmuseum Kaiserbrunn eröffnet. 1998 errichtete „Wiener Wasser“ ein weiteres Ausstellungsgebäude. Auf dem Rundgang durch die Museumsräume und das Schaugelände erhalten die Besucher:innen durch Objekte und Schautafeln Informationen über die historische Wasserversorgung, die geologischen Voraussetzungen für den Bau, die Planung und den Verlauf der beiden Hochquellwasserleitungen. Ein begehbarer Leitungskanal vermittelt einen Eindruck von der beklemmenden Arbeit der Wasseraufseher, die über die mehr als 50 Einstiegstürme die Stollenanlagen kontrollierten und warteten. Im Außengelände stehen Hydranten aus verschiedenen Zeitabschnitten sowie Beispiele für Wasserrohre in Originalgröße. Auch das Wasserschloss Kaiserbrunn ist zu besichtigen. Ein etwa 2 km langer Rundweg startet in der Nähe der Kaiserbrunnquelle und führt entlang der Schwarza durch das Höllental.
Wer gut zu Fuß ist, kann auf zwei Etappen auch Teile der Hochquellenleitung erkunden. Der erste Abschnitt des 1. Wiener Wasserleitungswegs führt von Kaiserbrunn über eine alpine Steiganlage nach Hirschwang, dann weiter über Reichenau, Payerbach und Schöglmühl bis nach Gloggnitz. Die Streckenlänge beträgt etwa 19 km. Der zweite Abschnitt beginnt in Bad Vöslau und endet in Mödling. In ca. 4 Stunden ist der ungefähr 18 km lange Wanderweg zu bewältigen. Allerdings wird man vermutlich länger brauchen, liegen am Weg doch die Weinorte Bad Vöslau, Sooß, Baden, Pfaffstätten, Gumpoldskirchen und schließlich Mödling. Außerhalb der Orte verläuft der Weg entlang der I. Hochquellenleitung. Man kommt dabei an einigen der ehemaligen Einstiegstürme vorbei. Eine Broschüre mit einer detaillierten Beschreibung des Wanderweges kann man kostenfrei bei der MA 31 online bestellen.
Autorin: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Verwendete und weiterführende Literatur:
- Alexander Bartl, Walzer in Zeiten der Cholera. Eine Seuche verändert die Welt, Hamburg 2023.
- Alfred Drennig, Die 1. Wiener Hochquellenwasserleitung. Festschrift, herausgegeben vom Magistrat der Stadt Wien, Abteilung 31 – Wasserwerke, aus Anlaß der 100-Jahr-Feier am 24. Oktober 1973, Wien 1973.
- Carl Mihatsch, Der Bau der Wiener Kaiser Franz Josef Hochquellen-Wasserleitung, Wien 1881.
- N.N., Die Hochquellenwasserleitung in Wien, in: Illustrirte Zeitung, Leipzig, 15. November 1873, S. 358.
- N.N., Die Eröffnungsfeier der Hochquellenleitung, in: Illustrirtes Wiener Extrablatt, Wien, 25. Oktober 1873, Nr. 294.
- N.N., Leitartikel, in: Neue Freie Presse, Wien, 24. Oktober 1873, Nr. 3294.
- N.N., Eröffnung der Wiener Hochquellenleitung, in: Neue Illustrirte Zeitung, Wien, 9. November 1873, Nr. 45.
- N.N., Der Kaiserbrunnen, in: Neues Wiener Blatt, Wien, 24. Oktober 1873, Nr. 206.
- N.N., Zur Eröffnung der Hochquellenleitung, in: Neues Wiener Blatt, Wien, 24. Oktober 1873, Nr. 206.
- N.N., Beleuchtung des Hochstrahlbrunnens, in: Wiener Zeitung, 25. Oktober 1873, Nr. 249.
- N.N., Eröffnung der Hochquellen-Wasserleitung, in: Wiener Zeitung, 25. Oktober 1873, Nr. 249.
- Peter Payer und Johannes Hloch, Gebirgswasser für die Stadt. Die I. Wiener Hochquellenleitung, Wien 2023.
- Rudolf Stadler, Die Wasserversorgung der Stadt Wien in ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Denkschrift zur Eröffnung der Hochquellen-Wasserleitung im Jahre 1873, Wien 1873.
- Alexander Tollmann, Eduard Sueß – Forscher und Politiker, 20.8.1831 - 26.4.1914, im Gedenken zum 150. Geburtstag, Wien 1981.